Kunst
Opfer, geopfert werden oder ein Opfer bringen
Dieter Holligers Werk „Sacrifice IV“ konfrontiert den Betrachter mit Themen wie Verletzlichkeit, Verlust und Opferbereitschaft. Es zwingt uns, unbequeme Fragen zu stellen: Welche Wunden fügen wir der Welt zu? Wo endet das Opfer, und wo beginnt der unwiderrufliche Verlust?
Text: Julia Sieber
Es gibt Momente, in denen man sich plötzlich als blosser Beobachter wiederfindet – aussenstehend, hilflos, während sich die Welt um einen herum lautlos verwandelt. So fühlt es sich an, wenn man Dieter Holligers Werk «Sacrifice IV» betritt. Die Bedeutung des Wortes “Sacrifice” – Opfer, Geopfertwerden, Opfer bringen – wird hier nicht nur thematisch verhandelt, sie durchdringt den Raum, ergreift den Betrachter, zwingt ihn zu reflektieren.
32 Weihnachtsbäume, ihrer Äste beraubt und in weisse Gipsbandagen gehüllt, hängen kopfüber von der Decke. Umgeben von tiefem Schwarz, scheinen sie wie körperlose Geister zu schweben. Das Bild ist verstörend. Der Raum selbst – fünf Meter lang, zwei Meter breit, kaum höher als ein Mann – fühlt sich bedrückend an. Die Welt steht hier sprichwörtlich auf dem Kopf, doch das Licht, das knapp über dem Boden bewegt, flackert wie ein letzter, verzweifelter Hoffnungsschimmer.
Man ist gefangen in diesem Raum. Die bedrückende Stille verstärkt das Gefühl, dass hier etwas Unwiederbringliches verloren gegangen ist. Und doch: Ist da ein Funken Hoffnung? Kann das Licht den Weg weisen, oder bleibt es ein Trugbild, ein kurzer Moment der Erleichterung, bevor die Dunkelheit alles verschlingt?
Verletzlichkeit, Versehrtheit, Verwundung – es sind diese Themen, die Holligers Werk so unerbittlich ehrlich machen. Die Bäume, einst Symbole der Festlichkeit, sind nun verkehrt, in Bandagen gehüllt, gefangen in einem Zustand zwischen Heilung und Zerstörung. Sie zwingen uns, Fragen zu stellen, die unbequem sind: Wie weit reichen die Wunden, die wir unserer Welt und uns selbst zufügen? Wo endet das Opfer, und wo beginnt der Verlust? Und vor allem: Was sind wir bereit, für die Zukunft zu opfern?
«Sacrifice IV» ist nicht bloss Kunst. Es ist eine Mahnung, ein Schrei in die Stille, der nachklingt, lange nachdem man den Raum verlassen hat.
Dieter Holliger, 1950 in Reinach AG geboren, lebt und arbeitet in Uster. Mit seinen Installationen erforscht er die Brüche in unserer Gesellschaft, die Fragilität des Menschlichen und die düsteren Abgründe, die sich auftun, wenn wir die Augen nicht rechtzeitig öffnen.
Holligers «Sacrifice IV» ist ein Werk, das niemanden unberührt lässt – eine düstere Reise, die uns zwingt, unsere eigene Verletzlichkeit anzuerkennen und uns zu fragen, wie viel Hoffnung wirklich noch bleibt.
Autor
Kulturblog Uster
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Kategorie
- Kunst
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